Kein Schmerzensgeld für ein verunreinigtes Arzneimittel

Einer Patientin, die seit ihrer Kenntnis von der Verunreinigung eines von ihr eingenommenen Medikaments an der Angst leidet, an Krebs zu erkranken, steht deswegen kein Schmerzensgeldanspruch zu.

Erhöht die Einnahme eines verunreinigten Arzneimittels das Risiko, an Krebs zu erkranken, um 0,02 %, ist es nicht generell geeignet, psychische Belastungen in Form von Ängsten und Albträumen zu verursachen. Das allgemeine Lebensrisiko einer Krebserkrankung liegt für Frauen in Deutschland bei 43,5%. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) bestätigte mit heute veröffentlichter Entscheidung, dass die Patientin von der Arzneimittelherstellerin kein Schmerzensgeld verlangen kann, soweit sie seit Kenntnis der Verunreinigung an der Angst leide, an Krebs zu erkranken.

Die Patientin erhielt seit vielen Jahren blutdrucksenkende Arzneimittel mit dem Wirkstoff Valsartan. Die Arzneimittelherstellerin stellt Medikamente mit diesem Wirkstoff her. 2018 rief die Arzneimittelherstellerin alle Chargen mit diesem Wirkstoff zurück, da es beim Wirkstoff-Hersteller produktionsbedingt zu Verunreinigungen mit N-Nitrosodimethylamin (NDMA) gekommen war. NDMA ist von der Internationalen Agentur für Krebsforschung der WHO und der EU als „wahrscheinlich krebserregend“ bei Menschen eingestuft worden. Nach dem Beurteilungsbericht der Europäischen Arzneimittelagentur ist das theoretisch erhöhte Lebenszeit-Krebsrisiko aufgrund möglicher Verunreinigungen mit NDMA bei täglicher Einnahme der Höchstdosis über ein Zeitraum von 6 Jahren um 0,02 % erhöht. Das allgemeine Lebenszeitrisiko für Frauen, an Krebs zu erkranken, wird für Deutschland mit 43,5 % angegeben. Die Patientin nimmt die Arzneimittelherstellerin auf Schmerzensgeld von mindestens 21.500 € in Anspruch. Sie behauptet, seit Kenntnis des Rückrufs unter der psychischen Belastung, an Krebs zu erkranken, zu leiden.

Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Darmstadt hatte die Klage abgewiesen1. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main keinen Erfolg:

Die Patientin habe, so das OLG, bereits keine „erhebliche“ Verletzung ihrer Gesundheit nachgewiesen, bestätigte das OLG die Entscheidung des LG. Der sich aus den Angaben der Patientin ergebende Krankheitswert liege unterhalb der Erheblichkeitsschwelle. Die Patientin berufe sich darauf, dass sie bereits das Wort “krebserregend“ beunruhige. Tagsüber denke sie oft an die ungewisse gesundheitliche Zukunft; nachts plagten sie Albträume. Diese Schilderungen seien ungenau, pauschal und belegten keine behandlungsbedürftige Gesundheitsverletzung.

Die Haftung der Arzneimittelherstellerin scheide auch aus, da die Gesundheitsbeeinträchtigung nicht „infolge“ der Arzneimitteleinnahme aufgetreten sei. Das Arzneimittel selbst sei – auch nach dem Vortrag der Patientin – nicht geeignet, die hier beklagten Gesundheitsbeeinträchtigungen in Form der Ängste und Albträume zu verursachen. Auslöser der psychischen Folgen sei vielmehr die Kenntnis von der Verunreinigung gewesen, wonach die Patientin mit einem geringfügig erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Krebserkrankung rechnen müsse. Diese anzunehmende Risikoerhöhung verbleibe aber in einem Rahmen, „der nicht in relevanter Weise über dem allgemeinen Lebensrisiko liegt und damit generell bei objektiver Betrachtung nicht geeignet ist, die behaupteten psychischen und physischen Folgen auszulösen“, begründet das OLG weiter, „die (…) nur ganz geringfügige Erhöhung des Krebsrisikos durch die Verunreinigung des Arzneimittels gegenüber dem allgemeinen Risiko, an Krebs zu erkranken, ist nicht per se als Schaden zu werden, ebenso wie eine Verunreinigung des Arzneimittels an sich, die auch folgenlos bleiben kann (…)“. Die individuelle Risikoeinschätzung der Patientin sei hier nicht objektiv nachvollziehbar.

Darüber hinaus lägen auch andere schadensverursachende Umstände vor. Die Patientin habe selbst vorgetragen, dass ihre Ängste, an Krebs zu erkranken, dadurch verursacht würden, dass ihre Mutter, ihr Bruder und die Cousine an Krebs verstorben seien.

Überzogene Reaktionen auf die Nachricht, dass ein eingenommenes Medikament möglicherweise Verunreinigungen enthält, die möglicherweise krebserregend sind, können jedoch der Arzneimittelherstellerin nicht zugerechnet werden.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 26. April 2023 – 13 U 69/22

  1. LG Darmstadt, Urteil vom 03.02.2022 – 27 O 119/21[]