Der Verkehrsunfall – und die Anwaltskosten

Mit dem Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten bei einem Verkehrsunfall hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:

Mit der Klage wurden u.a. außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 281, 30 € aus einem Gesamtschaden von 2.066, 26 € geltend gemacht, in dem neben den Reparaturkosten in Höhe von 1.443, 78 € auch Sachverständigenkosten, eine Auslagenpauschale und Schadensersatz wegen Wertminderung enthalten sind. Deren Ersatz hat die Beklagte mit der Begründung verweigert, es handle sich um einen einfach gelagerten Schadensfall und die Klägerin, eine innternationale Autovermietung, sei hinreichend geschäftlich gewandt, die Ansprüche selbst geltend zu machen. Allenfalls schulde die Beklagte außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten aus dem nicht regulierten Differenzbetrag.

Das erstinstanzlich hiermit befasste Amtsgericht Nürnberg hat der Klage überwiegend mit Abstrichen beim Zinsausspruch stattgegeben1. Das Landgericht NürnbergFürth hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen2. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag3 weiter.

Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des dabei nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters und revisionsrechtlich lediglich daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Acht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat4. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Klägerin einen Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten hat, hält der im Rahmen des § 287 ZPO eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

Der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch umfasst grundsätzlich auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten, § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs5 hat der Schädiger allerdings nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Auch dabei ist gemäß dem Grundsatz der subjektbezogenen Schadensbetrachtung Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten zu nehmen6.

An die Voraussetzungen des materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt.

Ist die Verantwortlichkeit für den Schaden und damit die Haftung von vornherein nach Grund und Höhe derart klar, dass aus Sicht des Geschädigten kein vernünftiger Zweifel daran bestehen kann, dass der Schädiger (oder dessen Haftpflichtversicherer) ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen werde, so wird es grundsätzlich nicht erforderlich sein, schon für die erstmalige Geltendmachung des Schadens gegenüber dem Schädiger oder dessen Versicherer einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen7. In derart einfach gelagerten Fällen kann der Geschädigte grundsätzlich den Schaden selbst geltend machen, so dass sich die sofortige Einschaltung eines Rechtsanwalts nur unter besonderen Voraussetzungen als erforderlich erweisen kann, etwa wenn der Geschädigte aus Mangel an geschäftlicher Gewandtheit oder sonstigen Gründen wie Krankheit oder Abwesenheit nicht in der Lage ist, den Schaden selbst anzumelden8.

Nach diesen Grundsätzen kann sich eine etwaige Geschäftsgewandtheit des Geschädigten insbesondere Sachund Fachkenntnisse im Zusammenhang mit der Abwicklung vergleichbarer Schadensfälle (nur) in zweierlei Hinsicht auswirken: Erstens bei der Beurteilung, ob aus Sicht des entsprechend qualifizierten Geschädigten kein vernünftiger Zweifel daran bestehen kann, dass der Schädiger (oder dessen Haftpflichtversicherer) ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen werde. Zweitens hat der Geschädigte, wenn es sich nach den genannten Kriterien um einen derart einfachen, aus seiner Sicht zweifelsfreien Fall handelt, sein Wissen bei der erstmaligen Geltendmachung des Schadens einzusetzen9, darf also die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts (zunächst) nicht für erforderlich erachten.

Handelt es sich hingegen nicht um einen einfach gelagerten Fall, ist der Geschädigte, gleich ob Privatperson, Behörde oder Unternehmen, ungeachtet etwaiger Erfahrungen und Fachkenntnisse zur eigenen Mühewaltung bei der Schadensabwicklung nicht verpflichtet10. Demnach kann es auch einem mit Schadensabwicklungen vertrauten Unternehmen nicht verwehrt werden, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, sofern nicht zweifelsfrei ist, dass und inwieweit der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners den Schaden regulieren wird11. Maßgeblich ist dabei der Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts, also die Sicht ex ante12.

Die schadensrechtliche Abwicklung eines Verkehrsunfalls, an dem zwei Fahrzeuge beteiligt waren, stellt jedenfalls im Hinblick auf die Schadenshöhe regelmäßig keinen einfach gelagerten Fall dar.

Diese Ansicht wird inzwischen von der wohl überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung der unteren Instanzgerichte geteilt13, ebenso in der Literatur14. Dabei wird zu Recht darauf abgestellt, dass bei einem Fahrzeugschaden die rechtliche Beurteilung nahezu jeder Schadensposition in Rechtsprechung und Lehre seit Jahren intensiv und kontrovers diskutiert wird, die umfangreiche, vielschichtige und teilweise uneinheitliche Rechtsprechung hierzu nach wie vor fortentwickelt wird und dementsprechend zwischen den Geschädigten und den in der Regel hoch spezialisierten Rechtsabteilungen der Haftpflichtversicherer nicht selten um einzelne Beträge wie auch vorliegend bis in die letzte Gerichtsinstanz gestritten wird. Insoweit besteht, wie vom Berufungsgericht zutreffend festgestellt, keine Vergleichbarkeit mit dem dem BGH, Urteil vom 08.11.1994 – VI ZR 3/94, BGHZ 127, 348 zugrundeliegenden Fall, in welchem es um die Beschädigung von Autobahnanlagen15 durch Kraftfahrzeuge ging16. Bei Unklarheiten im Hinblick jedenfalls auf die Höhe der Ersatzpflicht, wie sie typischerweise bei Fahrzeugschäden nach einem Verkehrsunfall bestehen, darf aber auch und gerade der mit der Schadensabwicklung von Verkehrsunfällen vertraute Geschädigte vernünftige Zweifel daran haben, dass der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen wird. Dass der erfahrene Geschädigte durchaus in der Lage sein wird, den Unfallhergang zu schildern und ggf. unter Beifügung eines Sachverständigengutachtens die aus seiner Sicht zu ersetzenden Schadenspositionen zu beziffern, macht den Fall selbst bei Eindeutigkeit des Haftungsgrundes nicht zu einem einfach gelagerten und schließt deshalb die Erforderlichkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts nicht aus17.

Im hier entschiedenen Fall hat die Klägerin Rechtsanwaltskosten aus einem Gesamtschadensbetrag geltend gemacht, der neben den fiktiven Reparaturkosten eine Wertminderung, Sachverständigenkosten und eine Auslagenpauschale erfasste. Es ist schon mit Blick auf die von der Beklagten dann tatsächlich angegriffene Abrechnung der fiktiven Reparaturkosten, aber zum Beispiel auch auf die Position der Sachverständigenkosten, deren Ersatzfähigkeit dem Umfang nach gerichtsbekannt häufig höchst umstritten ist, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht von einem nicht einfach gelagerten Fall ausgegangen ist. Dann aber durfte nach den oben dargelegten Grundsätzen auch die Klägerin als großes Mietwagenunternehmen ungeachtet ihrer Geschäftsgewandtheit die Einschaltung eines Rechtsanwalts bereits für die erstmalige Geltendmachung ihres Schadensersatzanspruchs für erforderlich halten. Sie musste insbesondere mit der Beauftragung nicht erst einmal abwarten, wie der Haftpflichtversicherer auf die Geltendmachung des Anspruchs reagiert18.

Dem Anspruch des Geschädigten auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten ist im Verhältnis zum Schädiger grundsätzlich der Gegenstandswert zugrunde zu legen, der der berechtigten Schadensersatzforderung entspricht. Abzustellen ist dabei auf die letztlich festgestellte oder unstreitig gewordene Schadenshöhe19. Nach diesen Grundsätzen wird das Berufungsgericht mit der erneuten Entscheidung über den Umfang der zu ersetzenden fiktiven Reparaturkosten die Höhe der zu ersetzenden Rechtsanwaltskosten festzustellen haben.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 29. Oktober 2019 – VI ZR 45/19

  1. AG Nürnberg, Urteil vom 15.05.2018 239 C 5769/17[]
  2. LG NürnbergFürth, Urteil vom 16.01.2019 8 S 3262/18[]
  3. mit Ausnahme vom Amtsgericht zugesprochener und bereits mit der Berufung nicht mehr angegriffener Entziehungszinsen[]
  4. st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 11.07.2017 – VI ZR 90/17, NJW 2017, 3527 Rn. 8 mwN[]
  5. BGH, Urteile vom 18.07.2017 – VI ZR 465/16, NJW 2017, 3588 Rn. 6; vom 10.01.2006 – VI ZR 43/05, VersR 2006, 521 Rn. 5; vom 18.01.2005 – VI ZR 73/04, VersR 2005, 558, 559 6; vom 08.11.1994 – VI ZR 3/94, BGHZ 127, 348, 350 7; BGH, Urteil vom 16.07.2015 – IX ZR 197/14, NJW 2015, 3447 Rn. 55[]
  6. vgl. BGH, Urteile vom 11.07.2017 – VI ZR 90/17, NJW 2017, 3527 Rn. 10; vom 08.05.2012 – VI ZR 196/11, DAR 2012, 387 Rn. 8; vom 12.12 2006 – VI ZR 175/05, NJW-RR 2007, 856 Rn. 10; jeweils mwN[]
  7. vgl. BGH, Urteile vom 12.12 2006 – VI ZR 175/05, NJW-RR 2007, 856 Rn. 12; vom 18.01.2005 – VI ZR 73/04, VersR 2005, 558, 559 6; vom 08.11.1994 – VI ZR 3/94, BGHZ 127, 348, 351 f. 9[]
  8. BGH, Urteile vom 08.11.1994 – VI ZR 3/94, BGHZ 127, 348, 352 9; vom 12.12 2006 – VI ZR 175/05, NJW-RR 2007, 856 Rn. 12; BGH, Urteil vom 16.07.2015 – IX ZR 197/14, NJW 2015, 3447 Rn. 55[]
  9. vgl. BGH, Urteil vom 12.12 2006 – VI ZR 175/05, NJW-RR 2007, 856 Rn. 13[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 08.11.1994 – VI ZR 3/94, BGHZ 127, 348, 352 f. 11[]
  11. Zoll in Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl., Kap. 41 Rn. 132[]
  12. vgl. BGH, Urteil vom 01.06.1959 – III ZR 49/58, BGHZ 30, 154, 157 f.; Hunecke, NJW 2015, 3745, 3746[]
  13. z.B. AG Hamburg, DV 2018, 149 Rn. 3 f.; AG Flensburg, NJW-RR 2012, 432 Rn. 11 ff.; LG Krefeld, NJW-RR 2011, 1403 Rn. 9; AG Münster, NJW-RR 2011, 760 Rn. 6 ff.; AG Köln, SP 2011, 267 4 f.; LG Itzehoe, SP 2009, 31 15 f. für Unfall im Begegnungsverkehr und Schadenshöhe ab 2.000 €; AG Kassel, NJW 2009, 2898 5; AG Frankfurt, Urteil vom 03.03.2011 29 C 74/11 8 ff.; LG Mannheim, Urteil vom 22.06.2007 1 S 23/07 7; a.A. z.B. LG Münster vom 08.05.2018 3 S 139/17 31 ff.; LG Berlin, SP 2009, 446 Rn. 4[]
  14. z.B. Zoll in Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl., Kap. 41 Rn. 132; Kuhnert in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl., § 249 BGB Rn.207 für Rechtsunkundige; Hunecke, NJW 2015, 3745, 3747; Wagner, NJW 2006, 3244, 3245 f., 3248; Freymann/Rüßmann in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 249 Rn. 234; Schneider in Berz/Burmann, Handbuch des Straßenverkehrsrechts, 39. EL, 5. C. Rn. 82; a.A. z.B. Böhm/Lennartz, MDR 2013, 313[]
  15. Leitplanken, Verkehrszeichen etc.[]
  16. vgl. Nixdorf, VersR 1995, 257, 260; Wagner, NJW 2006, 3244, 3248 f.[]
  17. entgegen Nugel, jurisPRVerkR 24/2008 Anm. 5 sub D. 2[]
  18. vgl. Zoll in Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 16. Aufl., Kap. 41 Rn. 132; Wagner, NJW 2006, 3244, 3248[]
  19. BGH, Urteil vom 05.12 2017 – VI ZR 24/17, VersR 2018, 237 Rn. 7 f. mwN[]