Der Unfall mit der Müllabfuhr

Eine Pkw-Fahrerin, die an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, muss ihre Geschwindigkeit gemäß § 1, § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO so weit drosseln, dass sie ihr Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen bringen kann. Kollidiert sie daher bei der Vorbeifahrt an dem Fahrzeug Müllabfuhr mit einem gerade entleerten Müllcontainer, muss sie sich im Rahmen der Unfallregulierung eine entsprechende Mitverursachungsquote anrechnen lassen.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall macht ein Pflegedienst gegen einen für die Abfallwirtschaft zuständigen kommunalen Zweckverband Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend, bei dem eines ihrer Pflegedienstfahrzeuge beschädigt wurde. Eine Mitarbeiterin des Pflegedienstes fuhr mit diesem Fahrzeug aus der Gegenrichtung kommend an einem Müllabfuhrfahrzeug des beklagten Zweckverbandes vorbei, das mit laufendem Motor, laufender Schüttung und eingeschalteten gelben Rundumleuchten sowie Warnblinkanlage in der Straße stand. Dabei kam es zu einer Kollision des PKW mit einem Müllcontainer, den einer der Müllwerker hinter dem Müllabfuhrfahrzeug quer über die Straße schob.

Mit der Klage hat die Klägerin Erstattung der Fahrzeugreparaturkosten verlangt. Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Hannover hat der Klage gegen den kommunalen Zweckverband unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 zu 50 teilweise stattgegeben1. Auf die Berufung des Pflegedienstes hat das Oberlandesgericht Celle das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und den Zweckverband unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 75 (Müllabfuhr) zu 25 (PKW) zu weiterem Schadensersatz verurteilt2. Dabei ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass der Fahrerin des Pkw kein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung anzulasten sei.

Auf die daraufhin erhobene Revision des Zweckverbandes hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil wurde aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Celle zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen:

Dem Pflegedienst steht gegen den Zweckverband als Halter des Müllabfuhrfahrzeugs ein Schadensersatzanspruch aus § 7 StVG zu, da das PKW „bei dem Betrieb“ des Müllabfuhrfahrzeugs beschädigt worden ist. Die Gefahr, die von einer gerade entleerten Mülltonne auf der Straße für andere Verkehrsteilnehmer ausgeht, ist dem Betrieb des Müllabfuhrfahrzeugs zuzurechnen.

Bei der Entscheidung über die Haftungsverteilung hat das Oberlandesgericht Celle zu Recht dem Müllwerker einen schuldhaften Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorgeworfen, weil er hinter dem Müllabfuhrfahrzeug einen Müllcontainer quer über die Straße schob, ohne auf den Verkehr und das entgegenkommende Fahrzeug des Pflegedienstes zu achten, welches für ihn – hätte er den Müllcontainer nicht vor sich hergeschoben – erkennbar gewesen wäre.

Allerdings ist entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts auch der Mitarbeiterin des Pflegedienstes als Fahrerin des Pkw ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung vorzuwerfen:

Das Hauptaugenmerk der mit dem Holen, Entleeren und Zurückbringen von Müllcontainern befassten Müllwerker ist auf ihre Arbeit gerichtet, die sie überwiegend auf der Straße und effizient, das heißt in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst kurzen Wegen, zu erledigen haben. Wer an einem Müllabfuhrfahrzeug vorbeifährt, das erkennbar im Einsatz ist, darf daher nicht uneingeschränkt auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Müllwerker vertrauen. Er muss damit rechnen, dass Müllwerker plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortreten und unachtsam einige Schritte weiter in den Verkehrsraum tun, bevor sie sich über den Verkehr vergewissern. Auf diese typischerweise mit dem Einsatz von Müllabfuhrfahrzeugen verbundenen Gefahren hat der vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer sein Fahrverhalten einzurichten. Lässt sich ein ausreichender Seitenabstand zum Müllabfuhrfahrzeug, durch den die Gefährdung eines plötzlich vor oder hinter dem Müllabfuhrfahrzeug hervortretenden Müllwerkers vermieden werden kann, nicht einhalten, so ist die Geschwindigkeit gemäß § 1, § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO so weit zu drosseln, dass der Verkehrsteilnehmer sein Fahrzeug notfalls sofort zum Stehen bringen kann.

Den dargelegten Anforderungen genügte die vom Oberlandesgericht festgestellte Fahrweise der PKW-Fahrerin nicht. Bei einem Seitenabstand von maximal 50 cm zum Müllabfuhrfahrzeug war die Ausgangsgeschwindigkeit von 13 km/h zu hoch, als dass die Fahrerin den PKW notfalls sofort zum Stehen hätte bringen können.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. Dezember 2023 – VI ZR 77/23

  1. LG Hannover, Urteil vom 01.08.2022 – 12 O 103/21[]
  2. OLG Celle, Urteil vom 15.02.2023 – 14 U 111/22[]